Sexuelle Belästigung im Business Bereich - wir wissen alle was mit „hab doch ein bisschen Humor, das war doch nur Spaß” gemeint ist
Brutkasten und ihre Initiative #growrespect klären auf mit Erfahrungen und Geschehnissen aus dem Hier und Jetzt.
Die multimediale Plattform ‘brutkasten’ für Startups, digitale Wirtschaft und Innovation
sprechen im Zuge ihrer Initiative #growrespect mit Menschen aus der Arbeits- und Startup-Welt über ihre Belästigungserfahrung am Arbeitsplatz. Wir alle kennen es, wir alle haben es erfahren, oder mitbekommen – sexuelle Belästigung. Speziell am Arbeitsplatz oder an anderen Business Schauplätzen wird gerne darüber hinweg gesehen und gekonnt unterm Teppich gekehrt, umso wichtiger ist es, darauf aufmerksam zu machen, mit realen Erfahrungen von betroffenen Personen. Das Image einer fortschrittlichen, lässigen, modernen Startup-Welt schützt nicht vor Grenzüberschreitungen.
Leichtfertige Aussagen in normalen Sprachjargon, mit sexuallen, gewalttätigen Touch – von „Logo vergewaltigen” bis zur „Casting Couch”
Eine Managerin mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Startup-Welt teilte ihre Erlebnisse im Zuge von #growrespect. Eines ihrer Beispiele von völlig unangebrachten Aussagen war: „Wir sollten nicht das Logo vergewaltigen”, welche der neue CEO des Unternehmens in einem Meeting raus erzählte. Seine Wortwahl zog sich durch die Teambesprechungen, woraufhin die Mitarbeiterin anmerkte, dass sie sich damit nicht wohlfühlt.
“Eine Vergewaltigung ist für mich eine der schlimmsten Gewalttaten, die man einem Menschen antun kann. Wie kann man so ein Wort so leichtfertig benutzen?”, fragte sie Carolin Reiner vom brutkasten im Interview.
In einem anderen Kontext hat der neue Geschäftsführer erklärt, dass sie das Meeting dann auf der „Castingcouch” fortsetzen könnten. „Castingcouch” ist ein gemeinhin bekanntes Synonym für “Karriere” gegen Sex. In der späteren anwaltlichen Argumentation des Startups wird erklärt, dass die Bezeichnung lediglich auf den abgenutzten Zustand der Office-Couch hinweisen sollte und keine sexuelle Komponente gemeint war.
Konsequenzen für den Betroffenen, keine für den Täter und die Zuschauer
Als die Managerin den neuen CEO darauf hinweist, dass seine Bemerkungen sexistisch und unangemessen sind, sagt er: „Das war doch nur Spaß”. In einem anderen Kontext reagiert er auf ihre Kritik mit: “Sei doch nicht so zimperlich.” Es folgten einige Kommentare dieser Art, darunter auch über den Kleidungsstil einer Kollegin mit dem Hinweis, dass Frauen “damit ja etwas bezwecken” möchten. Die Betroffene verlässt letztendlich das Unternehmen, trotz ihrer Position, die sie sich jahrelang aufgebaut hat und ihren festen Bestandteil im Unternehmen, sowie ihr eigens erarbeiteten Team. Sie erklärt, dass sie lange darüber nachgedacht hat, wie sie mit der Situation umgehen möchte. Sie kam zu dem Entschluss, dass sie nicht leise mit den Erfahrungen leben möchte, sondern was dagegen tun möchte.
Nach Verlassen des Unternehmens wendet sie sich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft, wo sie kostenlose Beratung erhielt. In einem Schreiben zählte sie die Vorkommnisse, die gegen das Gleichbehandlungsgesetz verstoßen auf und sendete es ihrem ehemaligen Arbeitgeber. Ihre Intention war es im Startup Schulungen und Sensibilisierung für das Thema Sexismus und sexuelle Belästigung voran zu treiben. Im Schreiben werden diese Punkte als Forderungen formuliert. Im anwaltlichen Antwortschreiben des Wiener Startups, verfasst von dessen Managerin, stand: „Ich dachte, ich fasse das Erlebte zusammen, erkläre das Problem noch einmal und dann ist die Sache geschafft. Mit ihrer Reaktion zeigen sie überhaupt keine Einsicht. Das hätte ich nicht erwartet”. Das Startup weist jegliche Schuld von sich und erklärt, dass die einzelnen Aussagen nicht so gemeint waren, die Wahrnehmung ihrer ehemaligen Mitarbeiterin aber bedauert.
Wie man sich in einem ungewollten Date mit dem Chef
auf einer Businessreise wiederfindet
Erlebnisse sind immer individuell, das Problem bleibt dasselbe. Eine Ex-Mitarbeiterin eines deutschen Start-ups erzählt von ihrer ehemaligen Praktikantin, sie war die Vertrauensperson der zu der Zeit neuen Praktikantin. Die Praktikantin vertraute sich ihr an und erklärte, dass der CEO des Unternehmens überraschend nach Wien eingeflogen ist und sie drei Tage mit ihm alleine war. Im Zuge der Businessreise hat ihr Chef ihr unter anderem erklärt: „Wir zwei sind gerade auf einem Date”. Nachdem die Praktikantin im späteren Gespräch erwähnt, dass sie allergisch auf Ananas ist, fragt er sie: „Ah, heißt das, du kannst auch kein Sperma schlucken, das nach Ananas schmeckt?”
Von einem offensichtlichen Missstand zur Kleinigkeit – War doch alles nicht so gemeint! So ist das halt in der Arbeitswelt, da muss man hart im Nehmen sein!
Nach diesen drei Tagen in direkter Zusammenarbeit mit dem Chef, will die Praktikantin das Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden. Das Praktikum war für drei Monate geplant, sie versuchte es nach zwei Wochen abzubrechen, was sich als schwierig erwies. „Der Chef war drei Tage da und sie hat drei Tage gelitten”, erklärt die Ex-Mitarbeiterin des besagten Start-ups. Für sie waren die Erfahrungen der Praktikantin und die Beobachtung, wie das Unternehmen auf die Konfrontation reagiert hat, ausschlaggebend für ihre Kündigung. Des Weiteren hat sich die Praktikantin von ihr ermutigt gefühlt, die Vorfälle in der Personalabteilung zu melden. Dort wird ihr erklärt: „Wenn es sein muss, kannst du dein Praktikum früher beenden, die zwei Wochen bis Monatsende machst du aber schon noch fertig”. Zudem wird sie darauf hingewiesen, dass sie eine Kündigung einreichen muss und es kein einvernehmliches Kündigungsschreiben geben wird. Sie würde dadurch also ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld verlieren. Dabei hat die Personalabteilung betont, dass es sich hier um eine Kleinigkeit handeln würde und eine Kündigung eigentlich nicht notwendig ist. Bei einem Gespräch mit einem anderen Co-Gründer des Unternehmens erklärt er ihr, dass er es schlichtweg durchgehalten hätte, wenn ihm so etwas passiert wäre, als er noch Praktikant war. Nach all diesen Gesprächen kam es dann dazu, dass sich der besagte Chef bei seiner Praktikantin entschuldigen musste, er formulierte seine Entschuldigung wie folgt: „Ich wollte dich für den Job da draußen abhärten”.
Die Schuldgefühle der Betroffenen und das Wegschauen der Kolleg*innen
Die Praktikantin hat das Startup mit dem Gefühl verlassen, alles falsch gemacht zu haben. Ihre Kollegin ist besonders aufgebracht, wie das Unternehmen mit dem Vorfall umgegangen ist, nachdem es damit konfrontiert wurde. Sie erzählte: „Ich finde es ist eine Sache, wenn jemand sexuell belästigt wird und es ist eine Andere, wie damit umgegangen wird. Das ganze Unternehmen kann nichts dafür, wenn eine Person deppert ist, aber das ganze Unternehmen kann etwas dafür, wenn damit nicht ordentlich umgegangen wird”. So hat sie sich als Vertrauensperson entschieden einzuschreiten und konfrontiert das Unternehmen erneut, nachdem ihr die Praktikantin von den Gesprächen mit HR und Co. berichtet hatte. Ganz zum Schluss hatten die Geschäftsführung und die Personalabteilung dann doch noch eingesehen, dass etwas falsch gelaufen ist und zwar dass aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten die Praktikantin etwas falsch verstanden habe und sie selbstverständlich ernst genommen wurde.
Die zusätzliche Belastung am Arbeitsplatz und die
Selbstverständlichkeit im Unternehmen
Wie man mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz umgeht, ist nicht so einfach und kann schnell überfordern, gerade wenn man noch am Anfang der Karriereleiter steht. Betroffene beschreiben eine doppelte Belastung: „Während man sich einerseits darauf konzentriert, dass man seine Arbeit professionell und erfolgreich durchführt, muss man sich zugleich darauf konzentrieren, keine falschen Signale zu senden, um nicht falsch verstanden zu werden. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist anders, weil man auf persönlicher und auf professioneller Ebene degradiert wird”.
Besonders zweifelhaft in den erzählten Erfahrungen der Betroffenen ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Schuldigen in einem öffentlichen Arbeitsrahmen Grenzen überschreiten. Da fragt man sich, wie sie sich im Privatleben verhalten, wenn sie schon keine Hemmungen am Arbeitsplatz zeigen. Zudem kommt der Umgang mit Betroffenen, die sich wehren und Belästigungen melden, sie werden so gut wie gar nicht ernst genommen. Stattdessen gibt es bei den meisten Arbeitgebern Ausreden als Antworten in Form der bekannten Täter-Opfer-Umkehrung, um die Schuld an die Betroffenen abzugeben. Zusätzlich kann so ein missbilligtes Verhalten auch nicht gesund für das Unternehmen sein, schließlich verliert man so Arbeitskräfte. Ein Unternehmen sollte für all ihre Angestellten einstehen und sie nicht vergraulen, indem solche Schikanen zugelassen werden und Angestellte nicht ernst genommen werden.
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